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Hans H. Taeger: Love and Peace

Sein wir doch mal ehrlich, jeder ist bestimmt für „Love and Peace“ oder ähnliches zu haben. Aber muss das denn unter jedem Brief und auf jeder Postkarte als stereotyper und frommer Vorsatz postuliert werden (vor allem wenn man weiß, dass einen der Absender nun wirklich z.Zt. nicht ausstehen kann?). Warum sagt man nicht z.B. mir geht's im Augenblick fürchterlich schlecht und am liebsten würde ich Dich als Projektionsfläche für meinen Zustand benutzen, doch ich weiß, daß dies Unsinn ist.

Also Karten auf den Tisch, ich überwinde meinen Stolz, dies und das quält mich innerlich. Weißt Du einen Rat? Durch eine derartige Offenheit würde dem anderen überhaupt erst die Gelegenheit gegeben, sein aktives Mitempfinden anzuwenden und sich in die Situation des anderen hinein zu fühlen. Man würde als Mensch angesprochen werden und könnte als Mensch reagieren. Statt dessen findet eine spirituell verkleidete Schönfärberei statt. Man teilt mit, wie gut es einem geht, daß alle Lebewesen glücklich sein mögen, daß man unentwegt nur Gutes tut, die Meditation gute Fortschritte macht, man den oder den tollen Lehrer oder Kurs besucht hat, etc.. Hinter all dieser Fassade spürt jedoch jeder, daß das Gegenüber eigentlich in einer fürchterlichen Krise steckt, und man hat wieder einmal eine wichtige zwischenmenschliche Hilfestellung auslassen müssen, da der andere nicht bereit ist, etwas aus sich herauszugehen. Vielleicht weiß man ja auch keine Antwort auf die Probleme des anderen. Doch es wäre wenigstens darüber gesprochen worden, und alleine dies wirkt schon entspannend, befreiend und vertrauensbildend.

Je intensiver man um seine Sonne (— oder seinen Mond) ein symbolisches 12. Schutzfeld aufbaut, umso stärker scheinen Abwehrmechanismen und überempfindliche Stolz-Blockierungen eine mimosenhafte innere Sensibilität zu überlagern. Aus der Angst heraus, in seiner inneren Verletzbarkeit, Unfertigkeit und Krisenhaftigkeit erkannt zu werden, wirkt man nach außen hin nicht nur launisch, aggressiv, kontaktfeindlich und verschlossen, sondern verstrickt sich zudem in allerlei Notlügen, Geheimnistuereien oder spirituell wirkende Verhaltensbanalitäten.

Es scheint, daß der Weg in die Paradiese fischefeldiger Verwandlungen und Befreiungen durch eine heftige Höllenfahrts-Ouvertüre eingeläutet wird. Man verliert zunächst einmal sämtliche menschliche Qualitäten. Das alte Gesicht, die vergangene Maske will nicht mehr richtig funktionieren, und ein neues Gesicht ist noch zu schattenhaft und unklar, als daß man mit ihm der Welt begegnen möchte. In diesem gesichtslosen Stadium ist man mit sich und der ganzen Welt unzufrieden, windet sich in schmerzvollen Geburtswehen, spinnt um sich herum einen giftigen Kokon und möchte sich am liebsten in Luft auflösen oder in einer Erdhöhle vergraben. Vielen ist dieser Prozeß so leidvoll, daß sie ihn vorzeitig abbrechen und den Anschluß an ihr altes, vorhergehendes Ego wieder herstellen.

Andere finden eine Art erotischer Lust an diesem Zustand und verlieren die ursprünglichen Wünsche nach Neuwerdung und Harmonie-Erweiterung aus den Augen. Sie entwickeln dann eine Schuld- und Sühne Neurose und schließen sich vielleicht religiösen Gruppierungen an. Hierbei kann innerlich eine subtile Hassliebe auf freidenkende, welt- und zeitgeistoffene, glaubensmäßig unbelastete oder spontane Mitmenschen entstehen, die ihr 12-Feld-Stadium vielleicht besser gemeistert haben. Wiederum andere beginnen apathisch und stumpfsinnig zu werden. Sie verlieren allen Geist und Esprit, der einmal in ihnen war. Sie funktionieren dann nur noch wie Maschinen oder Roboter und flüchten sich in ein Gerüst moralischer oder pessimistischer Dauernörgelei. Auch sie haben ihr Verpuppungsstadium zu früh abgebrochen, sind irgendwo auf halbem Wege steckengeblieben und finden nicht den Mut im zweiten Anlauf den Rest der verbliebenen Höllenfahrt auf sich zu nehmen. Die Angst steckt ihnen noch zu tief in den Gliedern und sie kaschieren ihren zerrissenen inneren Zustand mit einer bizarren, oft selbstgerechten Vernunft und leiden insgeheim unter einer 12-feldigen Versagerneurose. In ihnen frisst weniger der Stolz oder Hass, als eher der Neid auf andere, die ihren schwierigen Weg konstant zu Ende gehen, oder auf solche, die von Anfang an auf derartige Abenteuer verzichtet haben und mit beiden Beinen scheinbar fröhlich in der Welt stehen.

Dann gibt es natürlich all diejenigen, die etwas ratlos, aber trotzdem höchst neugierig, vor den Toren ihres 12. Feldes zaghaft verweilen und angesichts der  vage voraus gespürten Talfahrt einen kritischen Abstand halten. Irgendwo fern am Horizont glitzert verheißungsvoll die offene Weite von „Love and Peace“, und man bemüht sich ständig, aber vergebens, das tiefe schwarze Tal mit allen nur erdenklichen Theorien, Philosophien, Wissenschaftlichkeiten, religiösen Spekulationen, esoterischen Spitzfindigkeiten oder okkulter Macht zu überbrücken. Es muss doch irgendeinen Trick, eine intellektuelle oder geistige Möglichkeit geben, dem dämonischen Höllenspektakel ein Schnippchen zu schlagen!

Hierbei finden sich alle zu einem buntgemischten und gelehrten Kränzchen ein: die strengen Wissenschaftler mit ihrer ängstlich verborgenen Sehnsucht nach Transzendenz und metaphysischer Wirklichkeit, der intellektuelle Atheist mit seiner heimlichen Gottliebe, der sich zu tode-rechnende Astrologe, der den Gesetzmäßigkeiten des Universums misstraut, der sensible Esoteriker, der sich von 1000 geheimen Mächten bedroht fühlt, der okkulte Großmagier, der seine Gottähnlichkeit auf Minderwertigkeitskomplexe gründet, der Religionsphilosoph, der gerne glauben würde oder der strenge Asket und Vernünftler, der sich mal so richtig gehen lassen möchte. Dort stehen sie schon seit Jahrtausenden und denken in die Ferne. Vielleicht findet ja doch mal jemand eine tragfähige Brückenkonstruktion, eine magische Formel, ein wissenschaftliches Gesetz...?

In gebührendem Abstand von dieser Gruppe, sich den Toren zu diesem jenseitigen(?) Feld viel näher wähnend, hat sich ein nicht minder buntes Völkchen versammelt, das, den Blick fest auf den Himmel fixiert, das vor ihnen liegende Tal einfach ignoriert. Sollte es doch existieren, kann es nur schlecht und böse sein. Da knien und hocken sie in den seltsamsten Posen, das Bild ihres Gurus oder Gottes ängstlich an ihr Herz gedrückt, fromme Gebete und Mantren murmelnd, Weihrauch schwenkend, sich tranceartig auf den Boden werfend, singend, tanzend oder in selbstversunkenener Stille. Aus allen Ecken schallt es verzweifelt klagend und dann wieder hoffnungsvoll: Love and Peace, Love and Peace , Love a…

Wäre doch bloß dieses verdammte Tal nicht da! Vielleicht glaubt man einfach nicht stark genug! Man soll ja dadurch Berge versetzen können, aber diese schrecklichen Täler...!

Ganz in der Nähe, in einem zauberhaften bio-dynamischen Gemüsehain, in dem es paradiesisch nach Kohlrabi, Knoblauch und Brennessel-Tee duftet, Reflexzonen reflektieren, Aku-Punkte aufleuchten und das behagliche Knarren von Gesundheitsliegen eine gewaltige Melodie anstimmt, befindet sich eine Gemeinschaft von 12-Feld-Anwärtern, die es sich fest in den Kopf gesetzt hat, ihre Erleuchtung buchstäblich zu eressen. Ganz hinterlistig bemüht man sich durch bewusstes Kauen, Einspeicheln und gründliches Verdauen, den Körper soweit zu reinigen, daß er, beflügelt durch die ätherischen Dämpfe von Zwiebeln und Sellerie, schwerelos die dunklen Abgründe überbrückt. Immer kommt jedoch irgendetwas dazwischen! Mal ist es die Leber, dann wieder der Magen...

Man hat nun wirklich schon alles versucht: sich in Wassertanks eingeschlossen, heilgefastet, ist Erdstrahlen ausgewichen, hat mit Schachtelhalmen gedüngt, sich mit homöopathischen Tinkturen bepinselt, sich an den Rand des Ruins gekurt und gekurst, sich,  Love and Peace mit umweltfreundlicher Tinte in den Arm eintätowiert... Und trotzdem! — Wenn doch nur nicht diese unentwegten Kopfschmerzen wären. Irgendwie hält mich das ständig ab! Aber da soll es ja einen neuen Vitamin-B-Komplex und eine neue Therapie geben...

Plötzlich wird alles ganz still, selbst die unentwegt schwätzenden Ferndenker halten für einen kurzen Augenblick den Atem an, die Schar der Himmels-Fixierten stoppt in ihren euphorischen Gesängen oder verzweifeltem Geschluchze, den Love and Peace -Essern bleibt die Salatgurke in der Kehle stecken: Da kommt doch tatsächlich einer aus der leeren Klarheit des 12. Feldes in ihre Mitte zurück. Dort steht er nun und schaut sich vergnügt im Kreise um, ruft allen ein freundliches  „Hallo“ zu, macht beiläufig eine Bemerkung über das ätzend warme Wetter und warum ihn denn alle so anstarrten. Es wäre doch hoffentlich nicht etwa etwas besonderes vorgefallen, wo es denn hier ins erste Feld ginge, ob sie auf irgendetwas warten würden, was diese merkwürdigen Love and Peace -Aufkleber zu bedeuten hätten, man solle doch nicht so sorgenvoll dreinblicken...

Hierbei fächelt er sich mit einem dieser fürchterlich gelehrten Bücher ein wenig Luft zu, vertreibt mit einem Bündel Räucherwerk allerlei lästige Insekten, stolpert beinahe über einen Unterwassertank, nimmt ein kleines Gesichtsbad aus der Weihwasserkanne und bittet um ein paar Mohrrüben für die Kaninchen seines Freundes. Einigen Übereifrigen, die sich spontan der Länge nach vor ihm auf den Boden geworfen hatten, hilft er betroffen wieder auf die Beine und erkundigt sich nach ihrem Gesundheitszustand. Doch bevor sich noch alle gleichzeitig mit 1000 Fragen und demütigen Verbeugungen auf ihn stürzen wollen, hat er sich bereits mit einem kurzen „Tschüss“ aus dem Staube gemacht. Einige meinten anschließend, er hätte noch so was wie „haben die denn nichts besseres zu tun als hier rumzustehn?“ , in seinen Bart gemurmelt. Aber das kann nur eine Lüge sein, denn er trug gar keinen Bart, sondern war nur nachlässig rasiert.

Nun begann ein volkstumultiger Aufstand! Alles sprach gleichzeitig! Wenn er doch wenigstens einen Heiligenschein gehabt oder ein klitzekleines Wunder gewirkt hätte, klagen die Himmels-Fixierten. Aber konntet ihr denn die Ausstrahlung nicht spüren, widersprechen die Esoteriker und bekommen ganz verklärte Augen. Während einige bereits emsig mit Plänen für einen golden- und juwelenglänzenden Reliquienschrein beschäftigt sind (- er hatte wegen der Hitze sein T-Shirt liegenlassen), rätseln andere in höchst geheimen Arbeitskreisen über die verborgene mantrische Bedeutung des „Tschüss“ nach. Sie vermuten darin bereits den Urlaut des Universums.

Einige zen-stille Yogis klatschen sich derweil mit einem riesigen Wahnsinnsgelächter auf die Schenkel oder springen wild gestikulierend durch die Gegend. Für sie war das der Flopp ihres Lebens. Das große Knacken des Super-Koans. Dieser Typ war einfach die Erleuchtung selbst. Für sie gibt es nichts mehr zu lernen, wobei sie sich kopfüber zurück ins Weltengetümmel stürzen. Die Steckengebliebenen und Apathischen meinen jedoch beharrlich, alle wären einer Täuschung aufgesessen, der Typ wäre nie im 12. Feld gewesen. Hierbei erhalten sie eine vorsichtige Unterstützung von den Denkbrückenbauern, wobei man jedoch berücksichtigen muß, daß diese immer noch etwas sauer über den entwürdigenden Gebrauch gerade eines ihrer wichtigsten Bücher waren: eine Supersynthese von modernster Wissenschaft, Philosophie und Esoterik, die nun wirklich letzte Enthüllung des gesamten Universums samt aller Meta- und Meta-Meta- Universen. Ein heftiger Streit auch bei den Astrologen, ob er denn einem Koch'schen oder einem 30-Grad-Feld entstiegen sei, und ob man für den Zeitpunkt seines ersten „Hallos“ die heliozentrischen oder geozentrischen Planeten zugrundelegen, nach Ebertin, Witte oder Taeger vorgehen sollte. Derweil sammeln die düster blickenden und einzeln herumstehenden Okkultisten ängstliche Gemeinden um sich. Jeder von ihnen behauptet unbeirrt, er alleine hätte die tiefe und unheilschwangere Bedeutung des „Hallo“ erfasst und ein endgültiger Weltuntergang, mindestens jedoch furchtbare Hungerskatastrophen ständen bevor.

Die Intellektuellen und Atheisten aber frohlocken! Wussten sie doch immer schon, daß an diesem ganzen Zauber von Erleuchtung und ähnlichem Gerede nichts dran sein kann. Ihnen fällt ein echter Stein vom Herzen, daß nicht doch ein vielleicht unerklärlicher Regenbogen oder ein parapsychologisches Phänomen mit dem Auftritt verbunden war.

Die Schuld- und Sühne-Leider kramen inzwischen ihre geliebten Guru-Fotos wieder aus den Brusttäschchen. Jemand, der nur Hallo und Tschüss sagt, kann ja nun wirklich nichts mit den tiefen und so schön formulierten Lehren ihres Meisters zu tun haben. Eingedenk ihrer kurzzeitigen Skepsis haben sie jetzt allerdings besonders viel bußfertiges zu tun. Die Reinheits-Esser aber sind von dem ganzen Vorfall recht unberührt geblieben. Auch die Kaninchen-Botschaft können viele nicht so recht einordnen, sie sind viel zuviel mit dem Kauen beschäftigt! Einige beginnen jedoch in aller Stille Kaninchen-Ställe zubauen. Vielleicht ist ja karottengemästetes Kaninchenfleisch genau das, was ihnen den letzten und entscheidenden Schub gibt. Andere nähen sich bereits Kaninchen-Fell- Unterwäsche, die sie mit Karotin einfärben. Man muß einfach abwarten, wie sich das Ganze vermarkten läßt. Es gibt da schon erste Vorschläge: die „Ka-Ka-Lehre'“(Kaninchen-Karotten-Lehre).

Glücklich, nun endlich wieder einen neuen energetischen Schub bekommen zu haben, sind sich die Enttäuschten und die Bestätigten darin einig, daß es nichts aufregenderes gibt, als an den Pforten des 12. Feldes zu verweilen und in die geheimnisvolle Ferne zu schauen, davon zu träumen, daß vielleicht durch einen Erdrutsch dieses schreckliche Tal doch einmal passierbar wird. „Love and Peace, Love and Peace“,  schallt es weiterhin beschwörend in das 12. Feld hinein, als würde es sich allein durch diese schönen Worte in eine Blumenwiese verwandeln. War da nicht ein schwaches Echo zu vernehmen, das sich so anhörte wie: „Verlier die Ängste, lass dich fallen, alles ist Eins?“

Aber das muss wohl eine Täuschung gewesen sein!

Der Artikel "Love and Peace - Satirisches zum 12. Feld" erschien 1986 in dem Buch "Astro-Trips" bei Werkstatt Edition, Axel Dietrich Verlag (ISBN- 3-923080-07-7). Axel Dietrich hat uns freundlicherweise erlaubt, einzelne Kapitel aus diesem Buch auf Loop! zu veröffentlichen. Wir bedanken uns an dieser Stelle herzlichst.

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Bilder - Titelbild (Loop-Collage): Flower - aussiegall from sydney, Australia (Garish  Uploaded by russavia) CC-BY-2.0; Gemüse: Abrahamlincoln (Own work) CC-BY-SA-3.0; Einstein-Teller: *christopher* from San Francisco, USA (E=MC^2  Uploaded by russavia) CC-BY-2.0; Yoga: Judith from london, UK (Yoga Reflections) CC-BY-2.0; Meditation - Louwrents (Own work) CC-BY-SA-3.0  – alle via Wikimedia Commons; 

Donnerstag, 28. März 2024

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